"Schlechte Wörter"
2018
18 Gedichte nach Inger Christensen.
Es gibt
"Schlechte Wörter"
(Ilse Aichinger)
1.
Es gibt (kein)… (x-mal)
Du gibst
Ich vergebe dir
Ich gebe
Wir ergeben uns (niemals)
Es gibt (kein)
2.
Es gibt kein
Schneeballschlachten mehr
Weißglut-Mitte. Rote Linien
3.
Es gibt Würstchen
Kurz und schmälich
Wurstfarbene Felgen
Versandt aus einem fahlen Hof
Und Möwenkissen, wie an so
Spiralen
Es gibt Würstchen
4.
Es gibt Spuren
in der Schüssel
Altes Testament
Und Fetzchen an der Bürste
Lappen sind Samen
5.
Es gibt den vierten Preis
Will jemand hören?
Es ist ein Wunder, das wir nicht singen
6.
Es gibt kein Stelldichein
Nur kronenbrechende Haferflocken. Lautsprecher und Schweineschnauze sind aus und du kriegst
hinterhergeworfen
einen
Satz
warme Ohren
7.
Es gibt die Aprikosenschachteln
Findest du die alten Aprikosenschachteln?
Eingeschneit
Langlauf in der Taiga
Teigig. Talgig
Leuchtend blaue
Aprikosenachtel
8.
(für T.S. Eliot und Gene Hackman)
Es gibt keinen April
Es gibt erstgehefteten Fisch
aus Starnberg oder Straßburg oder Neu Amsterdam, ein feuchter
Handschlag und ein Büro neben dem
Abtritt und ein endgeiles Kartenrudel
von Litauen, oder Livland, auf dem Kopf und Zahl so grausam
wie das wüsteste Bimmel
Bahngebirg
9.
Es gibt ein Krokodil
Gefährtig in Monet
Ist es dieses
Leistungskroko
Dil und schnellt aus nirgend
einer
Pfütz hoch wenn dunoch -
10.
Es gibt die Sense nicht
Es gibt nur Pariser Luftballons
Und spitze Bleistifte vielleicht
Und noch mit dem Finger vielseitig einsetzbare matte Scheiben
Und es gibt Verkehr. Wiewohl das strittig ist
Ein kleines grobes verschlossenes Stück Holzverschlag, das würd ich jetzt
so gern umklammern, irgendein
träger warmer heller Tag da draußen, in
einem muffigfeuchten
dunklen Keller
11.
(für Rudi Schuricke)
Es gibt keine Wahl
Es gibt das Unglück immer neuer
Harmonien
Lass mich träumen
Von den Partisanen
im Lago
Maggiore
12.
Es gibt Fledermäuse
Meine Sohle verschmiert
Unschlüssig die nasse Reifenspur
Aber
dieser Moment der Nacht wartet auf einen
Schritt
Flapp flapp flap
13.
Es gibt keine Mundharmonika
Es gibt ein Böses mit den Fingerspitzen hier im
Tau vor Tagesanbruch
bestorbene, be-
fächelte Zungen
Und es gibt sie nicht, die Hörner der Sonne
14.
Es gibt den Wind in den Weiden
der so leise ist
Und die heulende mein Gott wie hohe Betonkirche
Mein Vater, wie er fuhr ergebnislos
juchzend, heim und vorbei auf dem
Bonanza-Rad
Ich auf der Rückbank des Käfers lag träumend
das Fenster einen Samsa-Spalt gekurbelt
Die Zähne von Tante Ann
15.
Es gibt kein Leben
Jenseits des Fliederbaums
Seines federnden Astes
An dem ich exta
Tisches Faul
Tier hing den Kopf im Nacken hing der ein
Zig Richtigen Rich
Tung der kleine Seitengarten
Liegt
Kopfunterdrein
Der alte
Reinhardt tritt heraus, der groß
Äugige Vogel
16.
Es gibt
leise, pochende
Quarten
Sprünge
17.
Es gibt keine Poesie
Du weißt es
Ich weiß es
Egal was alle tun
Sie tun etwas
Dagegen
18.
Es gibt die Zeit
den zu verwartenden Tag
Vergeudetes Leben sammelt
Nichts, das
bläht sich
aus der Luftpumpe des Tages
Geprüft mit aufgesetztem
Daumen
Auf die Matratze starren mit
wachsendem Bizeps